Naturgewalten oder "Bright Red Dot" (Video)

Es ist Frühling.
Alles blüht.
Alles sprießt.

Um den Birnenbaum tummeln sich zahllose Bienchen. Bestäubung pur, wir freuen uns auf herrlich frische, knackige Birnen im Spätsommer.
Schauen wir näher hin, sehen wir jedoch, dass nicht jede befruchtete Blüte dieselbe Entwicklung durchmacht.

Viele, viele Blüten fallen vorzeitig ab.
Manche reifen nur mäßig und schauen schrumpelig aus.
Manche werden von Insekten angeknabbert. Die verletzte Stelle wächst verhärtet oder verholzt weiter. 
Manche schaffen bis August eine stattliche Größe. Doch dann kommt ein warmer Sommersturm und haut die hoffnungsvolle Ernte runter vom Baum.
Alles Natur.

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Ich reflektiere mit diesen Zeilen den Lauf der Natur. Ich reflektiere mein eigenes Leben. Ich als Teil der Natur. 
In den vergangenen Jahren habe ich den Schmerz von viel zu vielen lieben Mama-Freundinnen miterleben dürfen. Sie wurden schwanger. Die Vorfreude und Spannung war hoch.

Doch dann kam der Sturm. 
Mitten in der Nacht. Schmerz, Krämpfe, Angst und letztendlich Verlust, der einen nie wieder loslässt.

"Ich weiß es wär ein Mädlin geworre", mit diesen Worten bricht Oma Pilz, Mutter meines ehemaligen Vermieters eines Tages in Tränen vor mir aus. Sie ist 70 Jahre alt. Mit knapp 25 Jahren erlebt sie eine Fehlgeburt. Sie bekommt zwei wunderbare Jungs. Trotzdem. Gedanken und Träume über das Mädlin lassen sie ihr Leben lang nicht mehr los.

Vor allem das "Warum?"

"Ich verstehe nicht, weshalb Gott es zugelassen hat. Aber er hat einen Plan den ich erst in der Ewigkeit verstehen werde. Ich vertraue, dass er mein Herz wieder heil macht.", so eine sehr enge Freundin, die in derselben Woche wie zwei weitere Frauen im Freundeskreis ihr Baby in der zwölften Woche verliert.

Ich mitten drin. Ich hatte mich so gefreut. 
Die Theodizee-Frage lässt mich lange nicht los. Für mich ist Gott ebenfalls ein fester Halt. Und ich habe mehr als einmal die Frage gestellt: Warum habe ausgerechnet ich ein krankes Kind bekommen. Doch dieser Gedanke, diese Frage brachte mich nicht weiter.

Akzeptanz und Reflektion der Natur hat mir letztendlich Friede und Verständnis gebracht.
Könnte es sein, dass wir Menschen uns einfach zu sehr von der Natur entfernt haben?
Dass wir uns gar nicht als Stück Natur sehen?

Doch das sind wir. Auch wenn wir aus Habsucht das Leben naturfremd optimiert haben.

Könnte es sein, dass das, was meinem Birnenbaum geschieht auch ganz natürlich uns passiert? 
Könnte es sein, dass wir das Thema Kinderkriegen so sehr verklärt haben, dass wir hollywoodmäßige Erwartungen an das Leben haben, die uns zum seelischen Verhängnis werden können?
Oft geht es weiter. Alle drei Freundinnen aus der besagten Woche haben mittlerweile ein weiteres Baby bekommen. Alle drei haben das Trauma für sich verarbeitet - oder sind noch im Prozess.

Eine davon, Künstlerin Anna Baer, hat ihren intimen Schmerz in Ihrer Kunst verarbeitet. Ihr Mann hat einen Song geschrieben. Ich durfte dieses Musikvideo dazu drehen. Ein sehr tiefes, bewegendes Erlebnis. Und das möchte ich heute mit euch teilen.

In Liebe,

Julia