Nachhaltig konsumieren: Ein Interview mit Dominique van de Pol

Das Ziel der Stadtfarm ist, in Urbanisten ein größeres Bewusstsein für alternatives Leben, Nachhaltigkeit und ein bisschen Selbstversorgung zu schaffen. Und da bestimmt das Auge, der Stil, der Geschmack und Kunst und Kultur ganz klar mit.

Ich bin da selbst so. Wenn's nicht ordentlich oder cool aussieht, interessieren mich Dinge selten auf den ersten Blick. Schade eigentlich, denn es gibt viel wertvolle Informationen da draußen, die leider ganz unattraktiv verpackt sind.

Zum Beispiel Thema alternative Mode. Wer in den 90ern als alternativ galt, war für mich komisch. Ungewaschen und nach asiatischen Gewürzen riechend, Dreads, bunte weite Haremshosen und Birkenstocklatschen.

Heute sind die "alternativ" Gekleideten bewusst so. Und sie gehören definitiv zu den "Coolen" unserer Gesellschaft. Aber nur nach außen. Ob die sich wirklich darum kümmern, woher ihre Klamotten kommen, wage ich zu bezweifeln. Deshalb freue ich mich, Dominique van de Pol zu interviewen.

Dominique E. van de Pol ist selbstständige Trendforscherin und Expertin für Mode, Nachhaltigkeit und Kommunikation. Vom Ruhrgebiet aus entwickelt die studierte Designerin die unterschiedlichsten Kreativ-Formate: konzipiert Ausstellungen, Workshops, akademische Seminare und Modeevents zum Thema Nachhaltigkeit und Selbsterfahrung mit Mode. Aktuell feilt sie an einem Buch-Konzept über nachhaltigen Modekonsum.


Liebe Dominique, was fasziniert dich am Thema Mode? Und wie vereinbarst du Nachhaltigkeit mit der Kurzlebigkeit der Klamotten von der Stange?

Für mich ist die Mode ein unglaublich spannendes kulturelles Phänomen mit ganz unterschiedlichen Facetten. Um zu verstehen, warum Mode existiert, welche ureigenen menschlichen Bedürfnisse sie erfüllt und welche unbewussten Mechanismen dabei zum Tragen kommen, das fasziniert mich unheimlich und eröffnet mir immer wieder selbst neue Perspektiven auf den eigenen Umgang mit Kleidung im Alltag.

Mit dem Begriff Mode assoziieren wir meist nur die schnelllebigen kurzen Trends, die wir im Bereich Kleidung und Styling überall um uns herum beobachten. Der Begriff 'Mode' umfasst jedoch weit mehr. Genauso, wie es die kurzen, immer schnelleren Modetrends gibt, gibt es auch die mittel- und langfristigen Trends, in denen sich tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen abzeichnen.

Genau hier wird es dann spannend:
wenn diese neuen Werte in Form von Mode sichtbar werden.

Das Thema Nachhaltigkeit ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Aus der Distanz betrachtet entdeckt man, wie sich das Thema Nachhaltigkeit seit mehreren Jahren sukzessive in der Mitte der Gesellschaft etabliert und nach und nach immer stärker die Modeindustrie beeinflusst. Die kurze Lebensdauer unserer heutigen Wegwerfmode stellt jedoch nach wie vor ein großes Problem dar und steht in direktem Gegensatz zu allen Grundsätzen der Nachhaltigkeit. Denn kein anderer Punkt fällt letztlich mehr ins Gewicht, als die Lebensdauer unserer Kleidung.

Um selbst nachhaltiger mit meiner Kleidung umzugehen, bediene ich mich ganz unterschiedlicher Strategien: Ich versuche meinen eigenen Konsummustern immer wieder auf die Schliche zu kommen, meine eigene Garderobe zu analysieren und zu filtern, welche Teile ich tatsächlich trage und warum. Außerdem versuche ich allgemein weniger Klamotten zu kaufen und das Geld, das ich dabei spare, stattdessen in bessere Qualität, in Second Hand oder nachhaltige Labels zu investieren.

Den heißgeliebten Rausch neuer Klamotten gönne ich mir trotzdem regelmäßig, indem ich private Tauschpartys für mich und meine Freundinnen veranstalte.

In deinem neuen Buch geht es um nachhaltigen, achtsamen und bewussten Modekonsum. Wie kann ich achtsam werden? Was heißt das genau? Auf was kann man denn achten?

Achtsamkeit bedeutet bewusst wahrzunehmen, ohne zu werten. Das heißt genau zu beobachten, was Kleidung mit mir macht und wie ich mit meiner Kleidung umgehe. Achtsamkeit bedeutet eine liebevolle Haltung. Ich bin oft sehr ungeduldig und kann mich daher z.B. sehr schwer aufraffen beschädigte Kleidung zu reparieren, obwohl ich ihr damit ein neues Leben schenke. Ich habe also diese Tasche voller beschädigter Teile, mit der ich schon mehrfach umgezogen bin.

Statt mich deswegen schlecht zu fühlen, habe ich mich gefragt, wie mir das Reparieren Spaß machen könnte und gemerkt, dass ich es viel schöner fände, gemeinsam mit anderen aktiv zu werden. Ich finde es nun einmal todlangweilig, alleine in meinem Kämmerlein Knöpfe anzunähen. In netter Runde mit einer Freundin hingegen, finde ich das total gemütlich. Daher bin ich dazu übergegangen quartalsweise eine liebe Freundin zu einem gemeinsamen Reparierabend einzuladen. So kann ich mich endlich aufraffen, und das ganze wird plötzlich zu einem kreativen Unterfangen.

Achtsamkeit kann man auch hervorragend beim Einkaufen, oder vor dem eigenen Kleiderschank üben: Ich finde es z.B. immer wieder unheimlich spannend mir vor Augen zu halten, was genau manche Kleidungsstücke zu Lieblingsteilen und andere zu Kleiderschrankleichen macht. Dabei wurde mir z.B. bewusst, dass ich bei der Suche nach neuer Kleidung viel mehr nach optischen Kriterien entscheide und mich tendenziell für engere Kleidung entscheide, weil ich mich darin attraktiver fühle.

Im Alltag hingegen ist mir Bequemlichkeit viel wichtiger, als mir zunächst bewusst war. Aus dem Grund greife ich jeden Morgen dann doch wieder zu meinen Lieblingsteilen aus fließenden Stoffen mit großzügigen, lässigen Schnitten, in denen ich mich zugleich frei und geborgen fühle. Und das ist total ok. Es zeigt mir wieder einmal, wie vielschichtig Mode sein kann und dass es so viele Perspektiven gibt, aus denen man Kleidung bewerten kann.

Das heißt natürlich nicht, dass mir die Optik und meine Wirkung nach außen im Alltag egal ist, oder es falsch ist, wenn einem diese Kriterien am wichtigsten sind. Es geht einfach darum voller Neugierde und mit liebevollem Blick genau hinzusehen was in mir vorgeht im Umgang mit Mode. So gelingt es mir immer wieder neue Aspekte in ganz alltäglichen, vertrauten Ritualen zu entdecken.  

Das kann ausgesprochen interessant sein. Zum Beispiel bin ich mittlerweile viel achtsamer beim gemeinsamen Bummeln mit Freundinnen. Ich dachte immer, die Meinung einer guten Freundin würde mir bestimmt helfen bei der Suche nach dem neuen Lieblingsteil in spe. Durch die Analyse meiner Garderobe habe ich zu meiner Überraschung jedoch erkannt, dass mich die Meinung anderer eher zu Fehlgriffen verleitet und ich bei Kleidung am Besten fahre, wenn ich einfach auf mein eigenes Bauchgefühl höre.

Die Tatsache, dass mir ein Kleidungsstück nach Ansicht einer anderen Person steht, heißt ja noch lange nicht, dass ich mich darin im Alltag dann auch rundum wohlfühle. Vorallem, weil andere erfahrungsgemäß nur darauf achten, wie ein Kleidungsstück aussieht und keiner ausser mir wirklich weiß, wie es sich tatsächlich auf der Haut und am Körper anfühlt.

Bevor ich ein Teil kaufe, schließe ich daher oft kurz die Augen und versuche ganz genau nachzuspüren, wie sich das gute Stück am Körper anfühlt. Wenn ich mir unsicher bin schlafe ich lieber noch eine Nacht drüber und habe das vermeintliche Lieblingsteil dann meist schon wieder vergessen.

Es geht in deinem Buch auch um unbewusste Konsummuster. Dein Anliegen ist, dass Leute diese Muster erkennen, sie aufbrechen und ggf. neu schreiben. Wie bist du dahin gekommen, dass es etwas Erstrebenswertes ist, diese Muster zu durchbrechen?

Nachdem ich mich eingehend mit den Schattenseiten unserer heutigen Modeindustrie befasst habe, dachte ich es würde mir leicht fallen, keine konventionellen Modemarken mehr zu kaufen und stattdessen nur noch Klamotten von grünen Modelabels zu kaufen.

Solange ich die Fußgängerzone mied, war das kein Problem für mich, doch kaum war ich mit einer Freundin in der Stadt zum Bummeln verabredet, so fiel ich sofort in mein altes Konsummuster zurück und kehrte heim mit einer Tüte neuer Sachen.

Grüne Modelabels? Fehlanzeige.

Da wurde mir klar, dass die Erkenntnis, dass grüne Mode besser ist, alleine nicht ausreicht, um mich aus meinen eingefahrenen Konsummustern zu lösen.

Je mehr ich mich mit der Neurologie des Kaufrausches befasste, desto klarer wurde mir auch wieso. Denn der Anblick modischer Schnäppchen entfacht ein Feuerwerk an Glückshormonen in unserem Gehirn, die unseren gesunden Menschenverstand kurzzeitig aushebeln. Daher bringe ich mich, wenn möglich gar nicht mehr in Versuchung und verabrede mich lieber gezielt zum Bummeln durch ausgesuchte Läden, zum Flohmarkt oder einfach zum gemeinsamen Kaffeetrinken und Spazierengehen.

Ich habe erkannt, dass es mir auf meinen früheren Shoppingtouren vor allem darum ging mir etwas zu gönnen, mich zu verwöhnen mich zu inspirieren. Alles immaterielle, grundlegende Bedürfnisse, die absolut ihre Berechtigung haben, aber die ich durch den Erwerb neuer Klamotten langfristig niemals befriedigen könnte. Ich frage mich also stattdessen was mir wirklich fehlt und guttut und versuche mir das öfter in meinen Alltag zu holen. Ich habe gemerkt, dass ich shoppen gehe, als praktizierte Selbstliebe. Um mir etwas zu gönnen.

Ich weiß aber, dass es noch viele andere Arten gibt mich zu beschenken, ohne neue Klamotten zu kaufen: z.B. Indem ich meditiere, in der Natur spazieren gehe, mir etwas leckeres, gesundes koche, mich mit einem guten Buch in die Wanne lege. Das heißt aber nicht, dass ich mir den Spaß an neuer Mode verbiete. Ganz und gar nicht! Aber dem fröne ich jetzt einfach ausgiebig in Form von Kleidertauschpartys und gezieltem Shopping. Und wenn ich so darüber nachdenke, hatte ich noch nie zuvor so einen permanenten Strom neuer Sachen, aus dem ich mich nach Herzenslust bedienen kann. Das ist wirklich wunderbar!

Drei Tipps für einen, der sagt: ich lasse mir mein Konsumverhalten nicht mehr von der Industrie diktieren?

1.) Das nächste Mal, wenn einen das Gefühl überkommt, man hätte mal wieder ‚überhaupt nichts anzuziehen’, sich mit einem einfachen Trick vor Augen halten, wie unglaublich viel man eigentlich besitzt und wie viele schöne Teile ungetragen im eigenen Kleiderschrank schlummern: den Kleiderschrank komplett leeren und alle Klamotten aufs Bett oder auf den Boden legen. Jetzt nur die Sachen zurückhängen, die man in den letzten 12 Monaten tatsächlich getragen hat. Das sind die Sachen, die man im Alltag wirklich nutzt. Meist ist das nicht annähernd die Hälfte der Klamotten.

Den Rest durchsortieren, zurückpacken oder aussortieren, z.B. für die nächste Tauschparty. Warum erfasst uns, trotz der Berge an Klamotten, trotzdem immer das Gefühl, wir hätten nichts anzuziehen? Einfach mal darüber nachdenken, welches Bedürfnis sich dahinter verbergen könnte und ob es vielleicht Alternativen gibt dieses Bedürfnis besser und langfristiger zu stillen als durchs shoppen neuer Kleidung.

2.) Selbst eine kleine Tauschparty auf die Beine stellen! Mein Tipp: im privaten Kreis mit Freundinnen, das ist total unkompliziert und gar nicht aufwendig. Denn es gibt nur eine einzige Regel: Jeder legt seine Sachen irgendwo auf einen Haufen und nimmt die Reste am Ende wieder mit nach Hause, damit ich nicht jedes Mal auf fremden Kleiderbergen sitzen bleibe. Die Anzahl der Teile die jeder mitbringt oder am Ende mitnimmt ist völlig egal.

Da man ja nur Freundinnen um sich hat, herrscht eine vertrauensvolle Stimmung, weshalb es auch ohne Regeln super und ohne Ellbogen funktioniert. In der Situation fällt es mir auch viel leichter mich von meinen Sachen zu trennen. Wenn ich miterlebe, wie sehr sich eine liebe Freundin über eines meiner fast ungetragenen Teile freut, macht mich das auch immer richtig glücklich!

Außer Klamotten bitte ich meine Gäste immer noch etwas Kleines für die Runde mitbringen: Kekse oder z.B. ein Fläschchen Sekt. Und dann kann es auch schon losgehen! Die perfekte Gruppengröße: 10 Mädels mit einigermaßen ähnlichen Kleidergrößen. Ich organisiere das immer über Whattsapp oder Facebook und reserviere einen Sonntagnachmittag dafür. Das ist jedes Mal ein riesen Spaß und ich finde immer Berge neuer Sachen!

3.) Ein kleiner Tipp für alle, die das Gefühl haben sich nachhaltige Mode nicht leisten zu können: einfach mal mindestens eines Monat lang komplett alle Belege und Ausgaben für Mode und Accessoires sammeln und am Ende zusammenzählen. Das ist der Betrag x, den man von nun an monatlich in nachhaltige Marken investieren kann. So gibt man keine Cent mehr aus als zuvor. Ich habe sogar eine kleine schöne Spardose dafür aufgestellt, wo ich den Betrag immer am Monatsanfang reinwerfe. Darüber freue ich mich immer wie ein kleines Kind, das Taschengeld bekommt und überlege mir ganz genau, was ich mir dieses Monat gönnen möchte.

Bevor ich etwas kaufe frage ich mich, ob ich das Teil auch mindestens 30 Mal tragen werde. Wenn ich mir nicht sicher bin lasse ich es erst einmal liegen und schlafe eine Nacht drüber. Generell habe ich gemerkt, dass ich viel bewusster shoppe, wenn ich bar zahle. Dann mache ich auch seltener Fehlkäufe. Außerdem ist so meine Bereitschaft gewachsen für grüne Mode auch mal mehr Geld in die Hand zu nehmen.

Eine wichtige Voraussetzung für meine grüne Spardose sind für mich aber regelmäßige Tauschpartys, also ca. 2-3 Mal im Jahr. Die stillen mittlerweile meinen größten Hunger nach neuen Klamotten. Dadurch kann ich dann ganz in Ruhe und gezielt meinen Betrag x in ausgesuchte grüne Fashion Labes, in Second Hand- oder Vintage-Mode investieren.

Erzählst du uns noch wie du selbst immer wieder aus dir ausbrichst, wenn es ums Thema Styling geht?
Ich genieße es einfach Mode und Styling für mich und andere zu nutzen, um immer wieder in neue Rollen zu schlüpfen und neue Facetten der eigenen Persönlichkeit zu erfahren. Durch Styling kann man sich komplett verwandeln. Das kann sehr befreiend sein. In meinen Styling-Workshops, in denen die Teilnehmerinnen z.B. ein 20s-Makeover erleben oder die Frida Kahlo in sich entdecken, nutze ich Styling und Modeshootings ganz bewusst als Mittel zur Selbsterfahrung. Ich finde es unheimlich schön durch meine Events einen Rahmen zu schaffen, wo andere Menschen sich fallen lassen können und sich auf spielerische Art und Weise neu entdecken.

Ich habe festgestellt, dass es unheimlich Spaß macht unterschiedliche Facetten einmal so richtig rauszulassen, zu überhöhen und fotografisch festzuhalten. So ein Bild führt einem dann immer wieder vor Augen was alles in einem schlummert und bei Bedarf entfesselt werden kann. Das Thema Weiblichkeit fasziniert mich dabei sehr. Es ist so vielschichtig. Es stört mich einfach, dass die Mode- und Medienwelt uns Frauen permanent das Gefühl vermittelt unzulänglich zu sein. Ständig ein unerreichbares Schönheitsideal vor Augen zu haben, setzt einem einfach zu. Dem möchte ich etwas entgegensetzten und zeigen, dass man Styling und Shootings auch nutzen kann um sich als normaler Mensch und normale Frau in seiner Einzigartigkeit und Weiblichkeit zu feiern. 

Hier noch ein weiteres Foto-Interview, das die Konrad-Adenauer-Stiftung mit Dominique geführt hat.


Dominique wohnt mit ihrem Mann und Baby in Essen. Mehr über sie, ihr Buch und ihre Workshops gibt's auf ihrer Homepagewww.dominique-vandepol.com